Weltkrieg, Zweiter: Totaler Krieg, die zweite Phase des Kriegs in Europa

Weltkrieg, Zweiter: Totaler Krieg, die zweite Phase des Kriegs in Europa
Weltkrieg, Zweiter: Totaler Krieg, die zweite Phase des Kriegs in Europa
 
Die Stunde der Wahrheit sollte für Hitler und seine Führung erst im Herbst 1942 schlagen. Denn große militärische Erfolge und Raumgewinne im Osten Europas, in Nordafrika und auf dem Atlantik führten Deutschland im Sommer dieses Jahres noch einmal auf den Zenit seiner Macht. In ihm war freilich der Keim für die endgültige Niederlage bereits angelegt.
 
 Die Rote Armee gewinnt die strategische Initiative
 
Im Zuge der am 28. Juni 1942 aus dem Raum Kursk und Charkow eingeleiteten Offensive gelang es der — nunmehr in die Heeresgruppe B (Maximilian von Weichs) und Heeresgruppe A (Wilhelm List) gegliederten — deutschen Südfront, bis Ende Juli Woronesch, Rostow am Don und die Krim zu erobern und die Front an den Donbogen nach Osten vorzuschieben. In diesem Augenblick traf Hitler am 23. Juli wieder einen seiner folgenreichen einsamen Entschlüsse, die ihn operativ immer tiefer bis hinunter auf die Divisionsebene durchgreifen ließen: Aus dem vorgesehenen Nacheinander wurde nun ein gleichzeitig angesetzter deutscher Vorstoß gegen Stalingrad (Heeresgruppe B) und ins Kaukasusgebiet (Heeresgruppe A). Die 6. Armee unter Generaloberst Friedrich Paulus eroberte bis Mitte November in harten Kämpfen neun Zehntel des völlig zerstörten Stadtgebiets von Stalingrad, während die südlich operierende Heeresgruppe A in das unbrauchbar gemachte Erdölfeld von Maikop einrückte und am 21. August auf dem Elbrus die Reichskriegsflagge hisste, ohne die Südgrenze Russlands zu erreichen und damit den amerikanischen Nachschub unterbrechen zu können. Diese gleichzeitigen Vorstöße führten zu einer Überdehnung der Südfront auf etwa 2000 km Länge.
 
Die Katastrophe von Stalingrad und die Panzerschlacht von Kursk
 
Am 19./20. November durchstießen die Sowjets in einer Großoffensive die deutsche Front nordwestlich und südlich von Stalingrad und schlossen am 22. November bei Kalatsch am Don den Kessel für die deutsche 6. Armee mit etwa 250000 Mann in der Wolgastadt. Hitler verbot jeden Ausbruchsversuch. Ein verzweifelter deutscher Entsatzvorstoß scheiterte am 21. Dezember 48 km vor dem Einschließungsring. Am 31. Januar 1943 kapitulierte der Süd-, zwei Tage später der Nordkessel von Stalingrad. Von 250000 Soldaten wurden 34000 Verwundete und Spezialeinheiten ausgeflogen, 91000 gerieten in Gefangenschaft, von denen nur etwa 6000 nach dem Kriege zurückkehrten. Nach der Aufgabe von Rostow standen die deutschen Truppen im Frühjahr 1943 wieder auf der Linie, aus der sie im Vorjahr zur Offensive aufgebrochen waren. Die Heeresgruppen Mitte und Nord hatten bis März 1943 auch wieder eine feste Front gewonnen.
 
Die Initiative an der Ostfront war jetzt endgültig auf die sowjetische Seite übergegangen. Um sie wenigstens an einem Punkt wiederzugewinnen, befahl Hitler im Sommer 1943 einen Zangenangriff gegen den sowjetischen Frontbogen bei Kursk von Norden und Süden aus (Unternehmen »Zitadelle«). Er führte zur größten Panzerschlacht des Zweiten Weltkriegs, musste aber nach einer sowjetischen Gegenoffensive am 13. Juli erfolglos abgebrochen werden, da die alliierte Landung auf Sizilien eine Abgabe von Kräften nach Italien erzwang. Diese Gegenoffensive führte die Rote Armee bis Ende September 1943 an den improvisiert befohlenen »Ostwall« (»Pantherstellung«). Hitler nahm Zuflucht zu einer defensiven Haltestrategie mit begrenzten offensiven Gegenschlägen. Das Blatt zu wenden vermochte er nicht mehr. Dennoch hielt er an seinem ideologischen Kriegsziel, der Vernichtung der europäischen Juden, fest, auch wenn die Durchführung des Massenmords die Kriegsführung erheblich belastete. Beim Rückzug zerstörten die Deutschen mit der Taktik der »verbrannten Erde« alle Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen und Unterkünfte und zwangen die arbeits- und wehrfähige Bevölkerung, sich ihnen anzuschließen.
 
 Die Wende des Kriegs im Mittelmeerraum und im Atlantik
 
Die Wende des Kriegs in Nordafrika, das ab September 1940 in den Krieg einbezogen war, vollzog sich 1942/43. Hitler hatte niemals einen Zweifel daran gelassen, dass dies für ihn ein Nebenkriegsschauplatz war, und trotz des ständigen Drängens des Oberbefehlshabers Erwin Rommel den Nachschub in engen Grenzen gehalten. Die Konsequenz war aber nicht nur der Verlust Nordafrikas bis Mai 1943, sondern nunmehr die akute Bedrohung der europäischen Südflanke in Italien. Eine am 26. Mai 1942 eingeleitete Großoffensive hatte die deutsch-italienischen Verbände Ende Juni bis El-Alamein, 100 km westlich von Alexandria, geführt. Am 23. Oktober begann die britische 8. Armee unter Bernard Law Montgomery mit weit überlegenen Kräften eine Gegenoffensive, die Rommel am 4. November gegen Hitlers Befehl »Halten um jeden Preis« zum Rückzug nach Libyen zwang. Die amerikanisch-britische Landung in Marokko und Algerien unter Dwight D. Eisenhower am 7./8. November 1942 wurde mit der Einrichtung eines deutsch-italienischen Brückenkopfes in Tunesien beantwortet, um den Rückzug des Afrikakorps in seinem Rücken zu decken. Nach dem französischen Waffenstillstand in Nordafrika mit den Westalliierten marschierte die deutsche Wehrmacht am 11. November 1942 in das bisher unbesetzte Frankreich ein. Rommels Panzerarmee konnte nach dem Verlust von Tripolis am 23. Januar 1943 längerfristig keine feste Front mehr aufbauen. Als Rommel ein Halten des »Brückenkopfs Tunesien« durch die nunmehr organisatorisch zusammengefasste Heeresgruppe Afrika bezweifelte, wurde er am 9. März von Hitler seines Kommandos enthoben. Mitte Mai kapitulierte diese Heeresgruppe.
 
Die Landung der Westalliierten auf Sizilien
 
Im Juli 1943 nach Sizilien übergesetzte britische und amerikanische Streitkräfte zwangen die Deutschen am 17. August, die Insel zu räumen. Am 3. September landeten britische Truppen in Kalabrien, am 9. September die amerikanische 5. Armee in Salerno.
 
Nachdem der Große Faschistische Rat Mussolini am 24. Juli das Vertrauen entzogen hatte, ließ ihn König Viktor Emanuel III. verhaften. Zwar erklärte der neue Ministerpräsident Marschall Pietro Badoglio, den Kampf an der Seite Deutschlands fortsetzen zu wollen, knüpfte jedoch gleichzeitig vor dem Hintergrund einer allgemeinen Kriegsmüdigkeit in Italien und des Zusammenbruchs des faschistischen Systems Kontakte mit den Alliierten an, die am 3. September zum Abschluss eines Waffenstillstands führten. Am 8. September besetzten deutsche Truppen schlagartig alle wichtigen Punkte in Italien, entwaffneten die italienischen Verbände im Mutterland, in Frankreich und auf dem Balkan und setzten den am 12. September befreiten Mussolini als Chef der Marionettenregierung einer faschistischen Repubblica Sociale Italiana mit Sitz in Salò am Gardasee ein (Republik von Salò). Am 18. Mai 1944 durchbrachen die Alliierten die deutsche Stellung bei Neapel und besetzten am 4. Juni das kampflos geräumte Rom. Sie stießen bis zur ausgebauten Apenninstellung vor, bis ihre Offensive im November infolge der Witterungsbedingungen noch vor Erreichen der Poebene eingestellt werden musste.
 
Die Schlacht im Atlantik
 
In den Jahren 1942 und 1943 gelang es den Westalliierten, zwei weitere wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Sturm auf die »Festung Europa« zu schaffen: die endgültige Wende im atlantischen Zufuhrkrieg im Mai 1943 und die absolute Luftüberlegenheit, um das »Dach« über der »Festung Europa« schließlich wie ein Sieb zu durchlöchern. Zwar konnten die deutschen U-Boote ihre Versenkungsziffern im Nordatlantik im November 1942 noch einmal auf eine monatliche Rekordhöhe von 650000 Bruttoregistertonnen hochtreiben, aber im folgenden Mai fielen die Versenkungsziffern dramatisch. Diese Entwicklung zwang Großadmiral Karl Dönitz, der am 31. Januar 1943 Raeder als Marineoberbefehlshaber abgelöst hatte, die Gruppenoperationen im Nordatlantik und damit faktisch die »Schlacht im Atlantik« abzubrechen, nachdem die U-Boot-Waffe in dem genannten Zeitraum zwar über 3,8 Millionen Bruttoregistertonnen versenkt, dabei aber 123 Boote verloren hatte. Ein Bündel widriger Umstände ließ die »Schlacht im Atlantik« scheitern: unter anderem die Erfolge der britischen Funkaufklärung und die gelungene Entschlüsselung des deutschen Funkkodes »Ultra«, die zu geringe Zahl der im Nordatlantik operierenden U-Boote, die alliierte Konvoisicherung, Radarortung sowie die flächendeckende Luftüberwachung durch die Alliierten.
 
 Der Krieg erreicht Deutschland
 
Strategischer Bomberkrieg der Westalliierten gegen Deutschland
 
Dramatischer als der Verlust der Initiative im fernen Atlantik traf die deutsche Bevölkerung die Wende im Luftkrieg. Denn der Übergang der Briten und dann der Amerikaner zum strategischen Bomberkrieg 1942 führte den Menschen vor Augen, dass sie nunmehr unmittelbar in den »totalen Krieg« mit einbezogen und die Grenzen zwischen »Front« und »Heimat« fließend geworden waren. Im Januar 1943 auf der Casablancakonferenz, in der zugleich die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation für Deutschland beschlossen wurde, einigten sich die Combined Chiefs of Staff (Vereinigten Generalstabschefs) auf die »ständig zunehmende Zerstörung und Lähmung des deutschen militärischen, industriellen und wirtschaftlichen Systems und auf die Unterminierung der Kampfbereitschaft des deutschen Volkes bis zur entscheidenden Schwächung der Fähigkeit zum bewaffneten Widerstand«.
 
Kriegsentscheidend war der Luftkrieg sicher nicht in der Richtung, dass er durch die vergleichsweise ungenauen Flächenbombardements den Widerstandswillen der deutschen Bevölkerung auch nur ansatzweise gelähmt hätte. Aber die erdrückende materielle Überlegenheit der Angloamerikaner hatte drei Konsequenzen: Sie brach der deutschen Luftwaffe Ende 1943 das Genick; sie schuf im Sommer 1944 zusammen mit der Flotte die Voraussetzung dafür, dass der von den Westalliierten in Aussicht genommene Landungsraum in der Normandie von Anfang an unangefochten unter alliierter Kontrolle stand. Schließlich zeitigten die Präzisionsangriffe auf Flugzeug-, Motoren- und Kugellagerfabriken, auf Ölraffinerien und Hydrierwerke und vor allem auf die Verkehrswege insofern eine verheerende Wirkung, als sie im Sommer 1944 die Treibstoffzufuhr unter das Minimum des Notwendigen drückten und die deutsche Kriegswirtschaft in wenigen Monaten bis zum Herbst 1944 nahezu zum Erliegen brachten. Eklatantes Versagen und Hybris auf deutscher Seite potenzierten eine an sich schon nicht mehr aufholbare personelle und materialmäßige Unterlegenheit. Neben Fehlentscheidungen und Verzögerungen bei militärtechnischen Projekten kam besonders ein viel zu spätes und nur zögerndes Umsteuern von Offensiv- auf Defensivwaffen (Jäger, Flak) sowie ein zwar prestigeträchtiges, aber 1944 strategisch bereits unsinniges Festhalten an den als »Wunderwaffen« geltenden Raketen V1 und V2 hinzu.
 
Die Reorganisation der deutschen Rüstungsproduktion
 
Die militärische Wende an allen Fronten 1942/43 erzwang im Innern des Deutschen Reichs den Übergang zur vollen Kriegswirtschaft durch eine grundlegende Reorganisation der Rüstungsproduktion und eine Mobilisierungskampagne, die unter dem Schlagwort des »totalen Krieges« alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang. Der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer schuf mit der kollegial organisierten »Zentralen Planung« eine effiziente Lenkungsbehörde. Die Verdreifachung des Volumens der Rüstungsendfertigung zwischen 1942 und einem Höhepunkt im Juli 1944 konnte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der relative Abfall gegenüber den Gegnermächten immer spektakulärer wurde und der Treibstoff für Waffen und Gerät unter den Schlägen der alliierten Luftwaffe und nach Einnahme der rumänischen Erdölfelder bei PloieÇti durch die Rote Armee zur Neige ging.
 
Die gesellschaftlichen Mobilisierungskampagnen für den »totalen Krieg« erfolgten in Schüben: nach der Niederlage vor Moskau 1941/42, nach Stalingrad Januar/Februar 1943 und nach den Bombenangriffen auf die Schlüsselindustrien im Frühjahr 1944. Zur psychologischen Vorbereitung der Bevölkerung auf den »totalen Krieg« hielt Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 seine berühmte Propagandarede im Berliner Sportpalast. Im Juli 1944 zum Generalbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt, suchte Goebbels mit allen propagandistischen (»Wunderwaffen«) und terroristischen Mitteln das Letzte an Widerstandskraft aus dem Volk herauszupressen.
 
 Der Einsturz der deutschen Fronten in West und Ost
 
Die Landung der Westalliierten in der Normandie
 
Nach systematischen Luftangriffen auf die Infrastruktur Nordfrankreichs landeten die Alliierten am 6. Juni 1944 um 6.30 Uhr in einer ersten Welle im Schutz eines überlegenen »Feuerschirms« von sieben Schlachtschiffen, 23 Kreuzern und 105 Zerstörern in fünf Brückenköpfen zwischen der Ostküste der Halbinsel Cotentin und der Ornemündung. Sie eröffneten damit nach langem Zögern endlich die — Stalin längst versprochene — »zweite Front« in Europa. Schon am Abend des ersten Tages zeichnete sich das Gelingen der Invasion ab. Vieles lähmte den deutschen Widerstand: die unbegrenzte Materialüberlegenheit der Alliierten zu Wasser und in der Luft, das Überraschungsmoment durch den funktelegrafisch simulierten Aufmarsch einer starken amerikanischen (Phantom-)Heeresgruppe gegenüber von Calais, die Zerstörung der Verkehrswege, die schnelle Sicherung des Nachschubs durch künstliche Häfen, die frontferne Stationierung der deutschen Panzerverbände sowie deutscherseits chaotische Kommandostrukturen. Nach der Herstellung eines zusammenhängenden Landekopfes von 100 km Breite und 30 km Tiefe am 12. Juni leitete der entscheidende Durchbruch der Amerikaner bei Saint-Lô am 25. Juli und bei Avranches am 31. Juli den Bewegungskrieg und ein fächerförmiges Vorrücken in die Tiefe des französischen Raumes ein. Bis zum Herbst des Jahres 1944 konnte keine geschlossene deutsche Abwehrfront mehr hergestellt werden. Der amerikanisch-französischen Landung in Südfrankreich zwischen Cannes und Toulon Mitte August folgten schnelle Vorstöße an die französisch-italienische Alpengrenze und rhôneaufwärts Richtung Lyon —Dijon. Am 25. August fiel Paris unzerstört in die Hände der Amerikaner und Franzosen; die französische provisorische Regierung unter Charles de Gaulle zog in die Stadt ein. Am 21. Oktober fiel mit Aachen die erste deutsche Großstadt. Nur ein Führungskonflikt zwischen Montgomery, der durch die Niederlande und Belgien ins Ruhrgebiet und in die norddeutsche Tiefebene vordringen und die Entscheidung nach Möglichkeit noch 1944 erzwingen wollte, und Eisenhower, seit dem 1. September Oberbefehlshaber über die alliierten Landstreitkräfte in Frankreich, der sich mit seiner Konzeption eines systematischen Vorrückens gegen den Rhein durchsetzte, verschaffte der deutschen Abwehrfront eine Atempause.
 
Die deutsche Ardennenoffensive
 
Noch im Bann des erfolgreichen »Sichelschnitts« von 1940 setzte Hitler mit der sinnlosen Ardennenoffensive im Dezember 1944 noch einmal alles auf eine Karte. Militärisch war es sein Ziel, dem Krieg im Westen durch eine neue »Sichelschnitt«-Offensive Richtung Antwerpen und Kanalküste gegen einen völlig überraschten Gegner und durch die Vernichtung der nördlich stehenden Streitkräfte eine entscheidende Wende zu geben. Politisch sollte der Erfolg den Glauben der Westmächte an ein schnelles Kriegsende erschüttern. Doch das Unternehmen scheiterte nach nur geringem Raumgewinn Ende Dezember 1944.
 
Der Untergang der Heeresgruppe Mitte im Osten
 
Im Schatten der Invasion in Frankreich vollzog sich im Sommer 1944 mit dem Untergang der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront eine noch größere militärische Katastrophe als bei Stalingrad. Nachdem die Rote Armee in mehreren Offensiven zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1944 die deutsche Front im Norden an den Peipussee und im Süden an die rumänische Grenze und nach Ostgalizien (Lemberg) zurückgedrängt hatte, führte eine am 22. Juni 1944, dem »Barbarossatag«, eingeleitete sowjetische Großoffensive gegen den weit nach Osten vorspringenden deutschen Frontbogen in wenigen Tagen zur Zerschlagung von 28 Divisionen der Heeresgruppe Mitte mit 350000 Gefallenen und Kriegsgefangenen. Weitere Großoffensiven führten die sowjetischen Streitkräfte bis Jahresende an die Ostsee bei Memel, an die Grenze Ostpreußens, an die mittlere und obere Weichsel bei Warschau und im Süden durch Rumänien nach Bulgarien und Ungarn bis Budapest. Der Frontwechsel Rumäniens und Bulgariens und das Vordringen der Sowjets entlang der Donau erzwangen einen überstürzten Rückzug der Heeresgruppe E aus Griechenland und Jugoslawien zunächst bis an die Drinalinie.
 
 Der Sturm auf das Deutsche Reich
 
Der Abfall der deutschen Bundesgenossen
 
Politisch wurde der Zusammenbruch Deutschlands dadurch mit vorangetrieben, dass das auf die deutsche Hegemonie gegründete Bündnissystem, das Hitler unter dem propagandistischen Banner eines gemeinsamen »Kreuzzuges Europas gegen den Bolschewismus« geschmiedet hatte, in dem Augenblick wie ein Kartenhaus zusammenbrach, als die Führungsmacht 1943/44 einen militärischen Rückschlag nach dem anderen einstecken musste: Dem Waffenstillstand Italiens am 3. September 1943 folgten der Abfall Rumäniens am 23. August 1944, Bulgariens am 2./9. September 1944 und Finnlands am 19. September 1944. Das am 19. März 1944 von deutschen Truppen besetzte Ungarn konnte nur dadurch im Krieg gehalten werden, dass der Reichsverweser Miklós Horthy am 16. Oktober 1944 ein bereits an die UdSSR ergangenes Waffenstillstandsangebot öffentlich zurückziehen musste und durch seinen Rücktritt einer faschistischen Satellitenregierung unter dem Pfeilkreuzlermitglied Ferenc Szálasi als »Staatsführer« und Ministerpräsident Platz machte.
 
Die Rote Armee auf verlustreichem Weg nach Berlin
 
Die am 12. Januar 1945 aus dem Baranów-Brückenkopf heraus begonnene sowjetische Großoffensive, die sich schnell auf den gesamten Frontabschnitt zwischen Memel und den Karpaten ausdehnte, hatte für die Bewohner Ost- und Westpreußens eine Tragödie zur Folge; denn als die Rote Armee am 26. Januar 1945 das Frische Haff bei Elbing erreichte, schnitt sie Ostpreußen vom Reichsgebiet und damit Tausenden von Flüchtlingstrecks den Weg ab. Im mittleren Frontabschnitt kämpfte sich die sowjetische Armee nach der Eroberung von Warschau am 17. Januar 1945 bis Mitte März auf eine Linie vor, die vom nördlichen Rand der Sudeten entlang der Görlitzer Neiße und der Oder bis Stettin verlief. Schon im Herbst 1944 hatte die SS die Vernichtungs- und Konzentrationslager mit dem Näherrücken der Roten Armee aufgelöst und die Lagerinsassen in Todesmärschen nach Westen getrieben. Am 16. April 1945 traten zwei sowjetische Heeresgruppen unter Georgij Konstantinowitsch Schukow aus dem Raum Küstrin (Schlacht bei den Seelower Höhen) und unter Iwan Stepanowitsch Konjew von der Neiße aus zum Umfassungsangriff gegen Berlin an und leiteten von der Ostfront her den endgültigen Untergang des »Dritten Reichs« ein. Am 25. April schlossen die beiden sowjetischen Armeen den Ring um Berlin.
 
Die Brücke von Remagen — Der Vorstoß der Westalliierten über den Rhein
 
Die Überquerung des Rheins durch die westalliierten Streitkräfte am 7. März über die unzerstörte Brücke bei Remagen, am 23. März bei Oppenheim südlich von Mainz und am 24. März bei Wesel öffnete ihnen den Weg zum Sturm in das Reichsinnere: Am 18. April erfolgte die Übergabe des Ruhrkessels und die Elbe bei Magdeburg wurde erreicht, am 19. April wurde Leipzig genommen, am 25. April kam es zum Zusammentreffen mit der Roten Armee bei Torgau; am 5. Mai fand die Teilkapitulation der abgeschnittenen »Festung Holland« statt, im Süden erfolgten am 30. April die Besetzung Münchens und am 3. Mai die Vereinigung am Brenner mit den am 19. April bei Bologna an der Italienfront durchgebrochenen amerikanischen Truppen.
 
Während um ihn herum sein Reich unter den militärischen Schlägen der Alliierten in Trümmer sank, spann sich Hitler in seinem Führerhauptquartier — bis zum 20. November 1944 war es die »Wolfsschanze« bei Rastenburg in Ostpreußen, ab dem 16. Januar 1945 der Befehlsbunker unter der Reichskanzlei — immer mehr in die illusionäre Traumwelt seiner Hoffnungen auf den »Endsieg« ein. Er operierte am Kartentisch mit Phantomarmeen oder solchen, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren, etwa die »Armee Wenck« für den Entsatz von Berlin, und schob seine Heerführer wie Figuren auf dem Schachbrett des Kriegs hin und her in der »felsenfesten« Überzeugung, dass die militärische Wende nur eine Sache des »eisernen« Willens und persönlicher Führungsqualitäten sei. Offenbar bis zuletzt im Banne ihres »Führers« und der Ausstrahlungskraft seines »Führermythos«, rafften sich Männer seines Vertrauens wie Albert Speer erst zu einer Auflehnung auf, als Hitler mit seinem »Nero-Befehl« vom 19. März 1945 zu erkennen gab, dass er »sein Volk« mit in den eigenen Untergang hineinreißen und die schon in der Sowjetunion beim Rückzug praktizierte Taktik der »verbrannten Erde« nun auch im eigenen Lande anwenden wolle.
 
Hitlers Ende — Die bedingungslose Kapitulation
 
Während die Rote Armee bereits am 13. April 1945 Wien erobert hatte, kapitulierte Berlin am 2. Mai, nachdem Hitler am 30. April in seinem »Führerbunker« unter der Reichskanzlei Selbstmord begangen hatte. Seit April 1945 bemühte sich die Wehrmachtführung um separate Waffenstillstandsabschlüsse im Westen zur Rettung der aus dem Osten zurückflutenden Truppen vor der sowjetischen Gefangenschaft. Nach Teilkapitulationen in Italien am 29. April und den Kapitulationen der deutschen Streitkräfte in den Niederlanden, Nordwestdeutschland und Dänemark am 4. Mai erzwang Stalin die bedingungslose Gesamtkapitulation in doppelter Ausfertigung: am 7. Mai in Reims vor Vertretern der Westalliierten und in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai auch vor dem sowjetischen Oberkommandierenden in Berlin-Karlshorst. Der europäische Krieg war beendet. Nach der Verhaftung der nach Hitlers Tod gebildeten Regierung Dönitz am 23. Mai in Flensburg-Mürwick übernahmen die vier Militärbefehlshaber mit der Berliner Deklaration am 5. Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt in Deutschland.
 
Prof. Dr. Bernd-Jürgen Wendt
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Kollaboration und Widerstand unter deutscher Herrschaft
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Blitzkrieg, die erste Phase des Kriegs in Europa
 
 
Bartov, Omer: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Aus dem Englischen. Reinbek 1995.
 Gilbert, Martin: Der Zweite Weltkrieg. Eine chronologische Gesamtdarstellung. Aus dem Englischen. München u. a. 1991.
 Gruchmann, Lothar: Totaler Krieg. Vom Blitzkrieg zur bedingungslosen Kapitulation. München 1991.
 Haffner, Sebastian: Winston Churchill. Reinbek 1995.
 Hillgruber, Andreas: Der Zweite Weltkrieg 1939-1945. Kriegsziele und Strategie der großen Mächte. Stuttgart u. a. 61996.
 Jacobsen, Hans-Adolf: Der Weg zur Teilung der Welt. Politik und Strategie 1939-1945. Koblenz u. a. 21979.
 
Der nationalsozialistische Krieg, herausgegeben von Norbert Frei und Hermann Kling. Frankfurt am Main u. a. 1990.
 
Stalingrad und die Verantwortung des Soldaten, herausgegeben von Joachim Wieder und Heinrich Graf von Einsiedel. München 41993.
 Weinberg, Gerhard L.: Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Aus dem Amerikanischen. Stuttgart 1995.
 Wendt, Bernd Jürgen: Deutschland 1933-1945. Das »Dritte Reich«. Handbuch zur Geschichte. Hannover 1995.
 
Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz, herausgegeben von Wolfgang Michalka. Lizenzausgabe Weyarn. 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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